Einigung im Rahmen des Mediationsverfahrens
Das Dokumentationszentrum denk.mal Hannoverscher Bahnhof wird nun an einem eigenständigen Standort am Lohsepark in der zentralen HafenCity realisiert. Es soll in nördlicher Verlängerung des Gedenkortes, der städtebaulichen Fuge, entstehen, die den historischen Gleisverlauf kennzeichnet, von dem aus zwischen 1940 bis 1945 über 8.000 Juden, Roma und Sinti von Hamburg aus deportiert wurden. Ursprünglich sollte das Dokumentationszentrum im Erdgeschoss eines Gebäudes Am Lohsepark, Ecke Steinschanze entstehen. Hieran gab es Kritik, nachdem bekannt wurde, dass der Bauherr die verbleibenden Büroflächen oberhalb des geplanten Dokumentationszentrums an die Wintershall Dea AG vermietet hatte. Im März 2021 hatte darauf die Behörde für Kultur und Medien ein Mediationsverfahren initiiert, in dessen Rahmen nun unter der Leitung der Präsidentin des Hamburgischen Verfassungsgerichts, Birgit Voßkühler, eine einvernehmliche Einigung gefunden worden ist.
Das Dokumentationszentrum soll ergänzend zu dem 2017 eingeweihten Gedenkort als zentraler Lernort das Deportationsgeschehen in die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung einbetten. Es wurde seit 2017 an dem Standort Am Lohsepark / Steinschanze in einem von der Müller-Spreer & Co Am Lohsepark KG errichteten Bürogebäude auf der Erdgeschoßfläche geplant, die Eröffnung war für 2023 vorgesehen. In die Planungen waren von Anfang an Vertreterinnen und Vertreter der Rom und Cinti Union, des Landesvereins der Sinti, des Auschwitz Komitee in der B.R.D. und der Jüdischen Gemeinden sowie der Initiative Stolpersteine einbezogen.
Als Anfang 2021 bekannt wurde, dass der Bauherr die Büroflächen oberhalb des geplanten Dokumentationszentrums an die Wintershall Dea AG vermietet hatte, erhob sich Protest, da die Vorgängerfirmen der 2019 fusionierten Firmen, Wintershall und DEA, als für die Kriegswirtschaft strategisch wichtige Unternehmen von der Machtübernahme der Nationalsozialisten profitiert haben. So wurden in beiden Unternehmen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt und ausgebeutet. Eine unmittelbare Nachbarschaft des Dokumentationszentrums mit Wintershall Dea war deshalb aus Sicht der Verbände ehemals Verfolgter und ihrer Angehörigen nicht vorstellbar.
In dem Mediationsverfahren zeigte sich, dass eine Lösung unter Beibehaltung der gegebenen Konstellation nicht zu erreichen war. Die Verfolgtenverbände sprachen sich daher dafür aus, einen alternativen Standort für das Dokumentationszentrum zu prüfen. Dieser Ansatz hat zum Erfolg geführt. Auf Initiative von Herrn Müller-Spreer ist es gelungen, einen Weg für die Realisierung des Dokumentationszentrums als Solitär an einem geeigneten Standort zu finden. Herr Müller-Spreer hat zugesagt, auf eigene Kosten für das Dokumentationszentrum ein alleinstehendes Gebäude für die Stadt zu errichten und ihr zu übergeben. Es ist geplant, dass die Stadt für das zweigeschossige Gebäude ein Grundstück an der in die Innenstadt führenden Ericusbrücke am nördlichen Ende des Lohseparks zur Verfügung stellt. Das Dokumentationszentrum enthält eine gleichwertige Ausstellungsfläche wie im bisherigen Entwurf vorgesehen und darüber hinaus notwendige Seminarräume, Arbeitsräume und Verkehrsflächen. Wie auch zuvor geplant, wird die öffentliche Hand den Innenausbau und den Einbau der von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte erarbeiteten Ausstellung übernehmen. Durch die Lage des künftigen Dokumentationszentrums in nördlicher Verlängerung des Gedenkortes, der Fuge, die den historischen Gleisverlauf kennzeichnet, und des Lohseplatzes, als ehemaligem Vorplatz des Hannoverschen Bahnhofs entsteht aus Sicht aller ein überzeugendes und schlüssiges Ensemble. Die inhaltliche Ausrichtung der unter dem Titel „In aller Öffentlichkeit“ vorgesehenen Ausstellung wird dadurch gestärkt.
Die Solitär-Lösung erfordert ein Bebauungsplanverfahren und einen Gestaltungswettbewerb für das Gebäude. Das Verfahren soll in diesem Jahr starten, so dass das Dokumentationszentrum voraussichtlich im Jahr 2026 eröffnet werden kann.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Verfolgtenverbände und die weiteren Beteiligten am Mediationsverfahren begrüßen das Angebot von Herrn Müller-Spreer, ein alleinstehendes Dokumentationszentrum für die Stadt zu errichten, und halten dies für eine gute Lösung. Damit hat das Mediationsverfahren aus Sicht aller Beteiligten ein gutes Ergebnis erzielt und ist erfolgreich abgeschlossen.
Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Uns war von Beginn an wichtig, das Dokumentationszentrum im engen Austausch mit den Verbänden zu realisieren. Insofern bin ich froh, dass wir dank des Mediationsverfahrens nun eine Lösung gefunden haben, mit der wir diesen wichtigen Ort des Erinnerns weiter gemeinsam umsetzen können. Ich danke allen Beteiligten für die konstruktive Zusammenarbeit unter der Mediation von Birgit Voßkühler. Die Lösung bietet die Chance, dass Gedenken an diesem für Hamburg so wichtigen und zentralen Ort zu stärken und so die öffentliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen zu fördern, die, wie es in der Ausstellung heißt, in aller Öffentlichkeit begangen wurden.“
Birgit Voßkühler, Präsidentin des Hamburgischen Verfassungsgerichts: „Die Beteiligten haben die Möglichkeiten, die ein Mediationsverfahren bietet, hervorragend genutzt und gemeinsam eine Lösung erarbeitet, die auf Dauer tragfähig ist.“
Harm Müller-Spreer, Projektentwickler Müller-Spreer AG: „Ich bedanke mich bei der Präsidentin des Hamburgischen Verfassungsgerichts, Frau Birgit Voßkühler, für Ihr Engagement. Unter ihrer Leitung wurde es während der Mediation möglich, geprägt von gegenseitigem Verständnis, verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten des Verfahrens für die konstruktive Mitarbeit, ohne die eine Realisierung des heute vorgestellten Gedenkortes nicht denkbar sein würde.“
Dr. Oliver von Wrochem, Leiter des Projekts denk.mal Hannoverscher Bahnhof: „Die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen, die den Betrieb des neuen Dokumentationszentrums übernehmen wird, begrüßt die einvernehmlich gefundene Lösung. In der Zeit bis zur Eröffnung werden wir mit Teilausstellungen, digitalen und künstlerischen Präsentationen sowie Veranstaltungen zur Geschichte der Deportationen, ihren Voraussetzungen und Folgen Inhalte des Dokumentationszentrums öffentlich vorstellen. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit allen Beteiligten und gehen davon aus, dass unsere Expertise in den nun anstehenden Neuplanungen Gehör findet.“
Dr. Andreas Kleinau, Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH: „Wir freuen uns außerordentlich, dass in einem konstruktiven Dialog ein für alle Beteiligten überzeugendes Ergebnis erzielt wurde. Das Dokumentationszentrum erhält als eigenständiges Gebäude im Norden des Lohseparks eine noch höhere Sichtbarkeit und bettet sich zugleich sehr gut in das Gesamtkonzept des Erinnerungsortes denk.mal Hannoverscher Bahnhof ein. So kann das gesamte Ensemble zu einem lebendigen Ort des Gedenkens inmitten des öffentlichen Lebens in der HafenCity werden.“
Helga Obens, Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland e. V.: „Weil alle es wollten, konnte eine Lösung gefunden werden für das Dokumentationszentrum am Gedenkort Hannoverscher Bahnhof. Esther Bejarano, die verstorbene Vorsitzende des Auschwitz-Komitees, war eine wichtige Stimme in dieser Entwicklung. Zugleich müssen wir feststellen, dass nach wie vor in Hamburg kein Gesamtkonzept für die Sicherung und Präsentation der Erinnerungsorte erkennbar ist. Zukünftig erwarten wir, dass Politik und Senat die Entscheidung über die Hamburger Erinnerungskultur nicht mehr an private Investoren delegiert.“
Peter Hess, Initiative Stolpersteine: „Da ich mich persönlich seit vielen Jahren für die Durchsetzung dieses Vorhabens eingesetzt habe, freut es mich besonders, dass in das neue eigenständige Gebäude die über viertausend Biografien der ehrenamtlichen Forscherinnen und Forscher aus unserer Initiative einfließen können und einen angemessenen Platz haben werden. Ich begrüße sehr, dass eine alle Seiten befriedigende Lösung gefunden wurde.“
David Rubinstein, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Hamburg: „Mit dieser Einigung kommen wir alle gemeinsam einen Schritt näher zu einem Dokumentationszentrum der Erinnerung und der Lehre. Die Vision und die Herzensangelegenheit vieler Menschen erfüllen sich dadurch. Es ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer aktiven Erinnerungskultur der Zeichen und nicht eines reinen Rituals. Wir als Jüdische Gemeinde in Hamburg begrüßen diesen Schritt sehr.“
Arnold Weiß, Landesverein der Sinti in Hamburg e. V.: „Wir sind froh, dass unser Protest gegen die Zumutung, die Erinnerung an unsere Deportierten und Ermordeten im Erdgeschoss der Firmenzentrale eines mit den Nazi-Verbrechen verbundenen Konzerns unterzubringen, gewirkt hat. Wir hoffen, dass die Stadt daraus die Konsequenz zieht, dass das notwendige Gedenken nicht privatisiert werden darf.“
Galina Jarkova, Liberale Jüdische Gemeinde in Hamburg: „Wir, die Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg, freuen uns, dass wir gemeinsam zu diesem guten und schnellen Ergebnis gekommen sind. Dass wir heute den jüdischen Feiertag Tu bi Schwat, das Neujahrsfest der Bäume, feiern, lässt uns das Ergebnis als gutes Zeichen für den Beginn sehen und auf ein gutes Gelingen für die Stadtgesellschaft hoffen.“
Rudko Kawczynski, Vorsitzender Rom und Cinti Union e. V.: „Wir begrüßen den Vorschlag, ein eigenständiges Dokumentationszentrum als zweistöckiges Gebäude an der in die Innenstadt führende Ericusbrücke, am nördlichen Ende des Lohseplatzes, zu errichten. (…)“ [Ausführliches Zitat siehe Stellungnahme]